Frank Herrmann zu Gast in Geldern
Fairtrade – Wo geht die Reise hin?
Anlässlich des ersten Jahrestages der Zertifizierung Gelderns als Fairtrade-Stadt fand am 5. Oktober im Bürgerforum eine Vortragsveranstaltung statt. Die VHS hatte in Kooperation mit der Stadt und dem Weltladen Frank Herrmann, Sachbuchautor und Experte in Sachen Fairtrade eingeladen. Thema seines Vortrags war: „Die einen schuften, andere verdienen – Fairer Handel am Scheideweg“.
Nach den Begrüßungen durch Bürgermeister Sven Kaiser und Hubertus Heix, Vorsitzender der Steuerungsgruppe, stellte Sonja Vieten, Leiterin der VHS, Frank Herrmann in einer Kurzbiografie vor.. Der Betriebswirt hat über 20 Jahre in Mittel- und Südamerika, wo er als Entwicklungsexperte und Reiseleiter tätig war, gelebt. Journalistisch betätigt er sich als Co-Autor des Einkaufsratgebers „Fair einkaufen – aber wie?“. Sein Buch „FAIRreisen – Handbuch für alle die umweltbewusst unterwegs sein wollen“ wurde 2017 mit dem ITB BuchAward für das beste touristische Fachbuch ausgezeichnet.
Seine Ausführungen begann Frank Herrmann mit dem Aufenthalt in Guatemala im Rahmen seines Auslandsstudiums. Dort lernte er wirklich kennen, was Armut heißt. In authentischen Lebensbeschreibungen von Kaffee erzeugenden Kleinbauern zeigte er auf, wie sie in Abhängigkeit von einem Zwischenhändler diesem und den Preisschwankungen auf dem Weltmarkt ausgeliefert waren. Insofern war es wichtig, dass sich die Kleinbauern in Kooperativen zusammengeschlossen haben, um eine gewisse Selbstvermarktung, eine Exportlizenz und eine Handelspartnerschaft in den USA zu ermöglichen. Allerdings haben nur 10-15 % der Kooperativen, die sich fairtrade zertifizieren lassen, auch wirklich einen Abnehmer gefunden, so dass sie gezwungen sind, den größten Teil der Kaffeebohnen doch wieder extremst billig zu verkaufen.
Dabei sorgt der Faire Handel im Gegensatz zu den großen Weltkonzernen für Transparenz, wie sich die Kosten und Erlöse beim Kaffee aufteilen. 24 % gehen an den Handelserzeuger, 8 % sind für Import und Verarbeitung, 18 % Steuer und Lizenzen, 25 % an den Fairhandelspartner z.B. Gepa und 25 % an den Groß- und Einzelhandel. So wird Kaffee also in Deutschland doppelt besteuert, weil die Mehrwertsteuer noch oben drauf kommt.
Kaffee als Exportware gehört zu den 5 am meisten exportierten Handelswaren. Der Kaffeekonsum in Deutschland ist mit 162 L pro Kopf und Jahr am höchsten, dann folgen Bier und Wasser. Nur 6,7 % des Kaffees sind fairer Kaffee, davon ¾ auch bio.
Bei der weltweiten Kakaoerzeugung (14 Mio Menschen leben von der Kakaoernte) zeigt sich gerade in Westafrika (Sierra Leone und Elfenbeinküste als Haupterzeuger) eine äußerst bedenkliche Situation. Da als Kostenanteil nur 6 % bei den Erzeugern verbleiben (Anteil der Supermärkte 35 % !!!) ist die Existenznot so groß, dass Kinderarbeit wieder enorm zugenommen hat. 10Jährige müssen mit Macheten bei der Ente helfen und verletzen sich nicht selten dabei. So wurde ein eigenes Fairtrade Cocoa Programm mit einem neuen Zeichen aufgelegt, bei dem es im Produkt ausreicht, wenn nur der Kakao fairtrade ist, während die anderen Zutaten wie Zucker etc. konventionell sein können. So haben die zertifizierten Bauern einen höheren Absatz und Gewinn. Das Dilemma ist allerdings, dass die Supermarktketten mit diesem neuen Siegel den Anschein eines hohen Fairtradeanteils erwecken und ihrerseits die Gewinne durch die billigen Zusatzstoffe enorm steigern. Außerdem ist der Bioanteil in diesen Produkten gleich 0 !
Weltweit werden die Rohstoffe für viele Produkte zu 70 % von Kleinbauern erzeugt. Sie leiden in diesen Zeiten besonders stark unter dem Klimawandel, der Corona-Krise und der Globalisierung. Sie haben keinerlei Unterstützung bei Ernteausfällen, bei Krankheit und dem stockenden Absatz. Die Armut wird so groß, dass die Abwanderung in die Städte zunimmt und damit den Großkonzernen noch mehr an zerstörerischer Landgewinnung ermöglicht wird. Der Faire Handel muss das Mittel der Politik werden, will man die Gerechtigkeit im Welthandel nicht weiter mit Füßen treten. Auch wenn der Umsatz mit Fairtrade-Produkten steigt, so liegt er in Deutschland immer noch unter 1 %. Die Pro-Kopf-Ausgabe in Deutschland beträgt 25 Euro, in der Schweiz 77 Euro.
Ein weiterer Schwerpunkt des Vortrags war das Thema „Fair einkaufen –aber wie?“.
… fair und regional: Ziel muss es sein, beide Eigenschaften zu berücksichtigen. Regionale Produkte können
durch faire ergänzt oder damit kombiniert werden, z.B. Apfel-Mango-Saft oder
Schokolade mit fairem Kakao und Bio-Milch aus der Umgebung.
… fair und bio: sollte zusammengehören.
… fair aber sinnvoll: Die Nachhaltigkeit endet da, wo faire Produkte aufwändig verpackt sind.
Auch bei fairen Produkten ist auf die Zusammensetzung der Bestandteile zu achten.
Zuviel Fett und Zucker schaden der Gesundheit.
… fair zum Klima: Transportwege gerade per Flugzeug, aber auch per Schiff weisen insgesamt eine
schlechte CO2-Bilanz auf. Technische Lösungen für die Transportmittel sind gefragt.
Rosen aus Kenia z.B. haben vor allem im Winter eine bessere CO2-Bilanz als Rosen aus
konventionellem energetisch aufwändigem Anbau in Gewächshäusern.
… faire Discounter? Unternehmen wie Lidl haben dem fairen Handel einen großen Schub gegeben. Per se
sind Discounter aber nicht fair, weil die Gewinnmaximierung immer an erster Stelle
steht und der Anteil der fairen Produkte am Gesamtsortiment sehr klein ist. Mit billigen
Kopien betreibt man Greenwashing, Lockangebote unter dem Erzeugerpreis sollen
Kunden in die Geschäfte locken und binden.
Der Faire Handel wird hier eher als Marketingmasche zu verstehen sein. Andererseits
trägt er aber auch als nachhaltiges Instrument ein wenig für eine gerechtere Welt bei.
Das Fazit muss also sein: Fair einkaufen – Ja! Aber der Verbraucher sollte differenziert die Erzeugung der Ware im Auge behalten.
Am Ende stellte Frank Herrmann kurz weitere faire Bereiche vor: faire Mode, faire Geldanlage, faire Elektronik, fairer Tourismus.
Angesichts der Weltlage sollten wir nicht in Panik verfallen. Der Verbraucher ist mit seiner Kaufentscheidung wichtig für eine bessere Welt, allein kann er aber nicht das Korrektiv im Welthandel sein, politische Rahmenbedingungen und Einflussnahme gehören dazu.
Frank Herrmann war im Rahmen seines Aufenthaltes in Geldern auch in der Liebfrauenschule, um mit Schülern der Realschule und des Berufskollegs zum Thema Fairtrade zu diskutieren.
Einen Artikel dazu können Sie hier lesen.