Der „fair rhein“ wird Vierzig!

Sind Jubiläen noch zeitgemäß?

Ein Bericht von Volker Warmbt

Das Markenzeichen des „fair rheins“ ist Innovation und Wandel! So hat es sich seit 1980 in den über vierzig Jahren der Geschichte dieses entwicklungspolitischen Projektes in Kamp-Lintfort am Niederrhein immer wieder gezeigt. Gleichzeitig ist dies das „Geheimnis“ des Erfolges bis heute.

Nach außen hin sichtbar war dieser Wandlungsprozess durch eine kontinuierliche Veränderung auch der äußeren Arbeitsstruktur: 1978 wurde der Arbeitskreis Dritte Welt noch als eine Aktionsgruppe in Trägerschaft der ev. Kirche in Kamp-Lintfort gegründet, um dann 1980 als e.V. (eingetragener gemeinnütziger Verein) noch einmal offiziell gegründet zu werden. Der Bewusstseinsprozess innerhalb des Vereins machte dann den „Arbeitskreis Eine Welt Kamp-Lintfort e.V.“ daraus. Der Wandel des zuerst vor allem durch Ehrenamtliche, darunter viele Jugendliche, getragenen Vereins zu einem reinen Trägerverein mehrerer entwicklungspolitischer Projekte, machte dann zur Jahrtausendwende eine Satzungsänderung notwendig, die wiederum mit einer Namensveränderung verbunden war: Der „fair rhein“ (Verein zur Förderung des fairen Handel(n)s am Niederrhein e.V.) war geboren.

In den ersten fünfzehn Jahren seines Bestehens initiierte der Verein eine ganze Reihe von Projekten und Events: Ein Eine Welt Laden mit Café, Gruppentreff (Vereinslokal), Bibliothek und Mediathek wurde in der Ferdinantenstr. 24 eingerichtet und betrieben. Hier wurde, als das Umweltschutzpapier noch grau und hässlich war, das erste Recycling-Papier in der Stadt angeboten, sowie umweltfreundliche Waschmittel der Fa. „Klar“, damals mit die ersten auf dem Markt. Von Beginn an wurden die Fragen nach Frieden und der Bewahrung der Schöpfung in engem Zusammenhang mit der Gerechtigkeitsfrage in unserer Einen Welt gesehen. Die Friedensgruppe von Kamp-Lintfort traf sich regelmäßig im Café. Wesentliches Leitmotiv in diesem von Beginn an ökumenisch orientierten Verein war der konziliare Prozess des ÖRK zu „Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung“.

Wer mehr über die Arbeit und Geschichte des Vereins in den ersten zwanzig Jahren erfahren will, findet hier einen Bericht dazu.

Um den Anfragen mancher Aktionsgruppen gerecht werden zu können, wurde 1985 in der Ferdinantenstr. 16 ein erstes Regionales Vertriebszentrum (das hieß zunächst „Regionalverteilerstelle“), getrennt vom Eine Welt Laden eingerichtet und Zug um Zug professionalisiert. Leider musste der Weltladen als Einzelhandelsgeschäft wenige Jahre später aufgegeben werden. In diesem Zusammenhang wurden in Kamp-Lintfort – einfach, weil es uns notwendig erschien – die erste Gruppenberaterstelle „erfunden“. Hier ist vor allem dem ersten Stelleninhaber Rolf Beek zu danken, der seinem Impuls folgte: „Wie erfinde ich meinen Arbeitsplatz selbst“. Was zunächst als vom Arbeitsamt finanzierte ABM-Maßnahme begann wurde dann eine weitgehend von Brot für die Welt und Misereor finanzierte Stelle, die beide von der Konzeption und Notwendigkeit der Gruppenberaterarbeit für den fairen Handel überzeugt werden konnten. Heute gibt es bundesweit 18 Fair-Handels-Berater. Ab 1988 entwickelte und erprobte Rolf Beek mit dem „Gewürzkoffer“ und dem „Kaffeeparcours“ gemeinsam mit den Mitarbeitern, insbesondere auch den Jugendlichen des Vereins, die ersten interaktiven entwicklungspolitischen Aktionsmodelle. – Wir befinden uns hier noch im vordigitalen Zeitalter! –  Der zweite Gruppenberater Hans Groeschke setzte dieses Projekt dann mit der „Cocoskiste“ fort.

Wer mehr auch zur Konzeption und Didaktik der entwicklungspolitischen Aktionsmodelle nachlesen möchte, findet es hier

Mit Unterstützung und viel Kreativität der derzeitigen Fair-Handels-Beraterin (früher: Gruppenberaterin) Judith Klingen hat sich der fair|rhein seit dem letztem Jahr neuen innovativen Herausforderungen gestellt:

  1. Die Integration eines Weltladens in das regionale Vertriebszentrum insbesondere auch als attraktiver Anziehungspunkt für Einzelkunden aus der Stadt und Region ist durch eine völlige Umgestaltung des Ladenlokals in der Schulstraße gut gelungen. Hier gibt es nun das wohl vielfältigste Angebot fair gehandelter Produkte am Niederrhein!
  2. Im März 2011 wurde dann fair|rhein als Netzwerk für Fairen Handel und Nachhaltigkeit gegründet. Die Intensivierung der Netzwerkarbeit für den Niederrhein gestaltet sich u.a. in regelmäßigen Kontakten zu den Aktionsgruppen und Weltläden am Niederrhein und durch regelmäßige regionale Stammtische, die jetzt zu Corona-Zeiten online stattfinden um die Beeinträchtigungen durch fehlende reale Kontakte so gering wie möglich zu halten. Hierbei ist auch der monatliche Online-Rundbrief des fair|rheins eine sehr hilfreiche Unterstützung. Im März 2020 war zur Intensivierung der Netzwerkarbeit und für den öffentlichen Raum in Kamp-Lintfort in enger Kooperation der Hochschule Rhein-Waal eine „Fair-Handels-Messe“ mit vielen Workshops und Vorträgen für Eine-Welt-Gruppen und Studierende der Hochschule geplant. Aufgrund von Corona konnte die Messe leider nicht stattfinden: für 2021 ist ein neuer Anlauf geplant. Perspektivisch ist es wichtig, dass das Thema Welthandelsstrukturen und Fairer Handel auch Einzug in die Forschung und Lehre der Hochschulen findet, was bislang in unserem Land nur punktuell gelingt.
  3. Der Fair rhein war 2020 an der Landesgartenschau, die in diesem Jahr in Kamp-Lintfort stattfand, durch die Ausrichtung und Gestaltung des „Weltgartens“ beteiligt. Die LAGA war in vielfältiger Weise ein großer Erfolg der entwicklungspolitischen Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit mit überregionaler Ausstrahlung! Während der LAGA arbeiten mehr als 40 MitarbeiterInnen ehrenamtlich in der Betreuung des Weltgartens. Wir hoffen, dass sich dieses kreative Potential auch in der Zeit nach der LAGA in diesem oder jenem entwicklungspolitischen Projekt weiter entfalten will.
  4. Vor kurzem erst ist es gelungen die Stelle der hauptamtlichen Eine-Welt-Promotorin für den linken Niederrhein beim fair|rhein in Kamp-Lintfort anzubinden und mit Christina Kockerols als Mitarbeiterin zu besetzen, eine gute und sinnvolle Ergänzung zur Stelle der Fair-Handels-Beratung.

„Sind Jubiläen noch zeitgemäß?“ – war die Ausgangsfrage. Ich denke, es macht schon Sinn sich von Zeit zu Zeit (z.B. bei Jubiläen oder runden Geburtstagen) zu vergegenwärtigen, „wie alles begann“, dass alles, was wir heute vorfinden, was sich bis heute entwickelt hat, eine Geschichte hat, also weder zufällig noch selbstverständlich ist… auch, dass es eine langen Atem und Geduld, Kreativität und Einsatz braucht um für eine gerechtere Welt einzutreten.

 

© Volker Warmbt, Neudorf im November 2020